Männer in Führungspositionen

Wie denken Männer aus Führungsposi­ tionen im Finanzsektor kritisch über Geschlechterverhältnisse und ihre Branche nach?


Gleichstellung wird oft als Frauenförderung betrachtet. Jedoch kann Gleichstellung nur erreicht werden, wenn auch Männer sich verändern. Darum habe ich für mein Projekt mit über 20 Männern aus Führungspositionen der Schweizer Finanzbranche gesprochen, um herauszufinden, inwiefern sie kritisch über ihre eigene Machtposition und die gesellschaftliche Bedeutung ihrer Branche nachdenken und welche Bedeutung dabei Geschlechterverhältnisse haben.

Ein zentrales Thema der Kritik ist die Unverein­ barkeit ihres Berufs mit involvierter Elternschaft. Wie P. Widmer meinte: «Das Berufsleben hat das Privatleben aufgefressen. That‘s a real war zone». Eindrücklich zeigen die Interviewten auf, wie sehr das Berufsleben an ihren Ressourcen zehrt und auf Kosten des Privatlebens geht. Viele sehen ihre Kinder unter der Woche nur schlafend, nicht selten führen die viele Abwesenheit und das Unverständnis für den familialen Alltag zur Trennung.

Ausgangspunkt der Kritik der untersuchten Männer sind oft so genannte «bad feelings» wie Stress, Burnout und Sinnverlust. Häufig leiden die Führungskräfte unter gesundheitlichen Problemen wie Schlafstörungen oder einem Herzinfarkt und stellen darum die beruflichen Anforderungen infrage. Dabei erkennen sie auch, wie gerade Männlichkeitsideale sie dazu gebracht haben, ihr Leben voll und ganz dem Beruf hinzugeben – auf Kosten ihrer Beziehungen, der Familie und ihrer eigenen Gesundheit.

Aber auch «good feelings» sind Ausgangspunkt von Kritik. Die Zeit mit den Kindern wird als «ein wunderschönes Gefühl» beschrieben, das die Wichtigkeit des Jobs relativiert. Wenn L. Baers Chef, seiner Meinung nach ein «Terrorfürst», sich aggressiv verhält, denkt er mit diesen guten Gefühlen im Hinterkopf: «weisst du was, ihr könnt mir den Buckel runter rutschen, das ist mir sowas von egal». Da er für die Familie nicht reduzieren durfte, ist er aus seinem Beruf ausgestiegen, hat sich umorientiert und arbeitet nun Teilzeit. In solchen Fällen sind es oft die erwerbstätigen Partnerinnen, die mit ihrem Einkommen eine solche Umorientierung erst ermöglichen.

Nicht nur die persönlichen Probleme beschäftigt meine Interviewpartner. Auch wie die Finanzbrache lokal und global zu wachsenden Ungleichheits-verhältnissen beiträgt sehen einige mit grosser Sorge. Sie erzählen von ihrem Unverständnis, wie durch profitorientierte Praxen von Pensionskassen kleinere Renten ausbezahlt werden und die Altersarmut zunimmt, während die Führungsetagen immer höhere Boni erhalten. Als unverantwortlich beschreiben sie auch, wenn sich Personen in Indien aufgrund des internationalen Handels mit Reis ihre Nahrungsmittel plötzlich nicht mehr leisten können.

Das Forschungsprojekt zeigt auf, wie viele Männer aus Führungspositionen in der Finanzbranche den allumfassenden Zugriff des Jobs auf ihr Leben und damit auch ihre geschlechtstypische Identifikation mit dem Job zunehmend infrage stellen. Viele äussern ein Bedürfnis, nicht mehr die Anforderungen des Berufs zu priorisieren, sondern auch ihren eigenen Bedürfnissen und den Bedürfnissen anderer nachzukommen. Angezogen von den guten Gefühlen im privaten Bereich werden für sie andere Lebenswürfe erstrebenswert. Diese können nicht nur die Gleichstellung der Geschlechter fördern, sondern stellen auch neue Anforder-ungen nach einer sorgsameren Praxis an den Erwerbsbereich. Ob diese Diskurse allerdings die Wirkmächtigkeit entwickeln, die Arbeits- und Lebensweise der Männer und der Arbeitswelt umfassend und nachhaltig zu verändern, wird sich erst noch zeigen müssen.

Zur Anonymisierung der Interviewpartner wurden Pseudonyme verwendet.

Anika Thym