Ortsnamen

Ortsnamen als Forschungsgegenstand


Ortsnamen, darunter versteht man auch Siedlungs-, Flur-, Haus-, Gewässer-, Berg- und Strassennamen u.a.m., sind aufgrund ihrer meist langen Geschichte ein überaus lohnender Forschungsgegenstand. Denn Ortsnamen werden von Generation zu Generation weitergegeben und gehören häufig zu den ältesten Zeugnissen, die man von einer Kultur und ihrer Sprache hat. So sind uns aus den Zeiten, als in der Schweiz noch keltisch, rätisch und ligurisch gesprochen wurde, ausser einzelnen Namen kaum andere sprachliche Zeugnisse überliefert.

Man kann davon ausgehen, dass jeder Ortsname einmal eine gut verständliche, eine sog. appellativische Bedeutung hatte, wie sie zum Teil auch heute noch in Namen wie ob dem Baumgarten, im Chilchenwald, bim Bildstöckli, hinderem Mülibärg anzutreffen ist. Neben solchen Umschreibungen findet man in den Namen vielfach auch die Besitzer eines Grundstückes, etwa in Namen wie der Hanselmatt oder dem Stäffenacher. Ortsnamen sind also meist triviale Benennungen, die vor allem dazu dienen, sich in einem bestimmten Gebiet orientieren zu können.

Sie sind für die Forschung unter anderem deshalb besonders interessant, weil sie eine Geschichte oder besser die Geschichte einer Landschaft erzählen. Sie können erzählen, wo in vorgeschichtlicher und geschichtlicher Zeit Siedlungen entstanden sind, welche Sprache die Leute dieser Siedlungen gesprochen haben und, zusammen mit anderen Disziplinen wie der Archäologie und der Ur- und Frühgeschichte, können sie ein weit detaillierteres Bild der Vorzeit zeichnen, als dies ohne die Erkenntnisse der Namenforschung möglich wäre. Sie erzählen nicht nur die grossen Ereignisse, sondern auch die kleinen Geschichten des Alltags, von der Urbarmachung eines Waldstücks, dem Anbau von Getreide und Hanf auf einem Acker, oder sie geben Auskunft über die Besitzverhältnisse. Diese kleinen Geschichten werden seit vorgeschichtlicher Zeit bis heute überliefert und dienen als Spiegelbilder der grossen Geschichte wie z.B. dem Übergang der Schweiz von der römischen Provinz zu dem frühmittelalterlichen Siedlungsland der Alemannen. Zudem offenbaren sie, was den Namengebern an ihrer Umwelt wichtig war, was sie wahrgenommen haben und wie sie das Wahrgenommene bewertet haben und gehören deshalb zum immateriellen Kulturerbe.

Namenforschung ist Grundlagenforschung. Sie liefert wichtige Erkenntnisse für weitere Untersuchungen im Bereich der Siedlungs-, Wirtschafts und Rechtsgeschichte. Sie erarbeitet auch grundlegende Daten zu historischen Sprachentwicklungen im lexikalischen und lautlichen Bereich. Somit kann sie auch als ein wichtiger Grundpfeiler für die Sprach- und Geschichtsforschung, für Archäologie und Frühgeschichte angesehen werden.

Noch fehlt eine Gesamtschau der schweizerischen oder schon nur der deutschschweizerischen Namenlandschaft. Es gibt aber Namenbücher zu einzelnen Kantonen. An der Universität Basel wird seit Jahren an den Namenbüchern der Nordwestschweiz geforscht. Die Projekte für die Kantone Basel-Landschaft und Basel-Stadt sind abgeschlossen, während derzeit für den Kanton Solothurn am letzten Band zur Amtei Bucheggberg-Wasseramt gearbeitet wird. Dieser Band soll, auch dank der Finanzierung durch die FAG und den Fonds zur Förderung von Lehre und Forschung, bis 2025 fertiggestellt werden.

Hans Bickel